Hier kommt die zweite Ausgabe der Dreimonatsbotin von Karen-Susan Fessel – mit Notizen, Gedanken und Terminen vom Schreibtisch aus dem vierten Stock in Berlin-Kreuzberg!
Wem sie gefällt: liebend gern weiterempfehlen! Eine kurze Mail mit dem Hinweis „Monatsbotin gewünscht“ an kontakt@karen-susan-fessel.de – und schon liegt sie je um den 15. des März/Juni/September/Dezember im virtuellen Briefkasten … Wer lieber Ruhe wünscht, desgleichen!
Viel Spaß beim Lesen wünscht Karen-Susan Fessel!
Der Frühling ist rum, und der Sommer ist da – zum Glück (noch) nicht so heiß wie in den vergangenen Jahren.
Das ist auch gut so, denn bei meinen verschiedenen Veranstaltungen seit Mitte März, dem Erscheinen der ersten Dreimonatsbotin, hätte ich extreme Temperaturen nicht gebrauchen können. Vor allem nicht, weil ich unmittelbar nach meiner ersten Schullesung für die 8. Schnelllernerklassen des Berliner Rosa-Luxemburg-Gymnasiums in der Pankower Janusz-Korczak-Bibliothek zum zweiten Mal von Corona erwischt wurde und im Anschluss gleich knapp drei Wochen flachlag.
Frisch genesen, las ich am 4. April in der Berliner Seniorenresidenz Palais am Katharinenhof aus „Mutter zieht aus„, um mich dann am Montag darauf meinem um zwei Wochen verschobenen Jahresonlineworkshop „Leg endlich los – schreib dein Buch!“ zu widmen. Sieben hochmotivierte Teilnehmer*innen arbeiten dabei konzentriert mit mir an ihren verschiedenen Buchprojekten, eine wahre Freude!
Und bevor die mittlerweile zehnte Neuauflage des Online-Workshops für die Aids-Hilfe NRW dann zu meinem und dem Bedauern der zehn Teilnehmenden Anfang Mai ihr (hoffentlich nur vorläufiges) Ende fand, las ich zum wiederholten Mal an meiner Lieblingsgrundschule „Menschenskinder“ in Schönwalde-Glien aus meinen Kinder- und Jugendbüchern. Am 7. Mai dann ging es in die Stadtbücherei Falkenhagener Feld in Berlin Spandau zu einer 1./2. und dann 6. Klasse, am Tag darauf in die Stadtbücherei Schöneberg, um endlich meine mehrfach verschobene Premiere aus „Einfach nur Noni“ abzuhalten. Und einen Tag später las ich dann auf Einladung der Usher-Gesellschaft aus „Blindfisch“; ein jeweils komplett unterschiedliches Publikum an drei aufeinanderfolgenden Tagen – genau das sind die Nuancen, die meine Arbeit so spannend und abwechslungsreich machen.
Am nächsten Wochenende dann reiste ich mit meiner Liebsten, meinem Freund Stefan und beiden Hunden – seit Ende April haben wir zu unserem mittlerweile vierzehn Jahre alten Luki eine sechsjährige, zwei Kilogramm leichte und sehr lustige Chihuahuahündin namens Elli aus dem Berliner Tierheim dazu aufgenommen – für ein paar Tage ins wunderschöne tschechische Karlsbad. Für die Thermalbäder hatten wir zwar keine Muße, aber dennoch durchaus erfrischt durch diese Kurzreise ging es dann für mich gleich weiter zur 29. Hildesheimer Kinder- und Jugendbuchwoche, um vor mehreren Schulklassen in Hildesheim und der Schulrat-Habermalz-Schule in Alfeld zu lesen.
Und danach: endlich wieder mal Frankreich, eine Rundreise mit Freundin und Hunden, knapp 3.500 Kilometer in acht Tagen: Berlin – Mosel – Trier – Luxemburg – Ardèche – Camargue – Alpen – Französisches Jura – Breisgau – Schwäbische Alp – Berlin. Tolle Fahrt, und im Mittelmeer habe ich auch gebadet!
Kaum zurück, ging es dann wieder los zu Schullesungen, zunächst am 12. Juni nach Bühlertann in der Hohenlohe, um dort am Schulzentrum für die 5./6. und 9. Klassen der Haupt- und Werkrealschule zu lesen, danach am folgenden Tag ins Laurentius-Gymnasium in Neuendettelsau zu den Klassenstufen 7, 8 und 9, perfekt organisiert von der engagierten Lehrkraft Eva Wutschka . Das waren denkwürdige und schöne Veranstaltungen, die mir viel Freude gemacht haben. Den Schreck über die schlimmen Wahlergebnisse der Europawahl konnten auch sie natürlich nicht mildern, aber es macht Mut, so viele junge Menschen vor sich sitzen zu sehen, die Interesse daran haben, sich mit auch schwierigen Thematiken auseinanderzusetzen.
In Neudettelsau empfingen mich übrigens gleich ein Dutzend hingebungsvoll gestalteter Plakate zu meinen Jugendbüchern, auf denen ich auch gleich die Bewertung sehen konnte, die sich zwischen 3,5 und 5 Sternen bewegte. Ein durchaus zufriedenstellendes Ergebnis!
Nun aber heißt es durchatmen – bevor am 23. Juni die nächste und letzte Lesung vor der Sommerpause ansteht, diesmal aus „Und wenn schon“ beim Bahnhofsfest Hangelsberg. Vorher aber bin ich auch noch mit fünf eintägigen Schreibworkshops für je eine Berliner Sekundarschule, eine Förderschule und ein Gymnasium dabei, um für das im September stattfindende Festival „30 Jahre Theater Morgenstern“ mit den Schüler*innen Geschichten zum Thema Kinderrechte zu entwickeln, die dann vom Theater spielerisch umgesetzt werden.
Ende Juli wartet dann der einwöchige Schreibworkshop im Rahmen der Sommerakademie in der niedersächsischen Akademie Waldschlösschen, am 20. August steht eine Lesung in der Stadtbücherei Magdeburg aus „Einfach nur Noni“ an. Und danach springt auch schon wieder die neue Dreimonatsbotin in den Startlöchern …
Wann dazwischen eigentlich noch Zeit zum Schreiben ist? So gut wie gar nicht. Aber das macht nichts, denn ein neues Buch werde ich nicht vor dem Herbst beginnen – mit Ausnahme des zur Zeit noch in Arbeit befindlichen Bilderbuchs für den Psychiatrie-Verlag, das frühestens im kommenden Jahr erscheinen wird.
Einen schönen Sommer wünscht Karen-Susan Fessel
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Lesungen: 23. Juni, Hangelsberg, Historischer Bahnhof, 12h: „Und wenn schon“ / 20. August, Magdeburg, Stadtbücherei, 19.30h: „Einfach nur Noni“
Online-Workshops: Die nächste Kreativ-Quickies starten am 3. September und 1. Oktober; Informationen und Anmeldung auch für die Onlineworkshops „Mein Buch“ und „Biografisches Schreiben“ und das Einzelcoaching unter www.karen-susan-fessel.de/seminare
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Ausgelesen: Tobias Rüther: Herrndorf. Eine Biographie. Rowohlt, Hamburg 2023. // Mit „Tschick“, dem rasanten Roadmovie, stieg der vorher wenig erfolgreiche Maler Wolfgang Herrndorf zum literarisches Superstar und in den Kanon der Jugendliteratur auf, aber mein Interesse weckte er mit seinem postum in Buchform veröffentlichten Blog „Arbeit und Werk“, in dem er nicht nur seine Umwelt portraitierte, sondern vor allem seine persönliche Entwicklung im Laufe seiner Krebserkrankung schilderte. Dem Tod durch Hirntumor kam Herrndorf nur knapp zuvor, indem er sich am Ende selbst das Leben nahm. Rüthers ein wenig detailverliebte Biographie zeichnet das Leben des Malers und Autors präzise nach, stilisiert ihn aber ein wenig zu sehr zum „größten deutschsprachigen Schriftsteller seiner Generation“ hoch. Ob Herrndorf selbst das peinlich gewesen wäre? Oder ob er stolz darauf gewesen wäre? Eigentlich hätte ich erwartet, am Ende einer solch wuchtigen Biografie eine solche Frage beantworten zu können, aber mit diesem letzten Satz in seiner Biographie ist es wie mit der Biographie selbst: So richtig nahegekommen bin ich dem Autor Herrndorf dadurch eben nicht. // Lucy Clarke: The Hike. Nicht alle kommen zurück. dtv, München 2024 / Mal wieder ein recht spannender Thriller, der in der unwirtlichen Berglandschaft Norwegens spielt: vier alte Freundinnen machen sich auf eine gemeinsame Wanderung. Unerfahren im Hiken, geraten die sehr unterschiedlichen Frauen von einem Missgeschick ins nächste, und plötzlich geht es nicht mehr um ein gemeinsames Vergnügen, sondern um einen Kampf auf Leben und Tod. Und nicht alle kommen wieder zurück … Abgesehen davon, dass mir sehr früh klar war, welche der vier Freundinnen am Ende ums Leben kommen wird, hat mit der gut konstruierte Roman durchaus Spaß gemacht. Solides Thriller-Handwerk und ein spannendes Setting.
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Unter der Lupe: Meine Werke
Nr. 8: Boris Belasko: Einer wie ich (1999)
Fast zeitgleich mit „Ein Stern namens Mama“, meinem bislang erfolgreichsten Buch, erschien im Herbst 1999 ein Experiment: Unter dem Pseudonym Boris Belasko veröffentlichte ich im Berliner Querverlag den erotisch aufgeladenen und mit schwulen Sexszenen versehenen schmalen Roman „Einer wie ich“ – der prompt in der Kategorie „Bestes Buch“ für den Siegessäule Award nominiert wurde. Mein geheimer Plan hatte also bestens funktioniert – ich wollte einfach gern wissen, ob ich auch schwule Literatur schreiben kann; immerhin hatte ich mit „Heuchelmund“ und mehreren Kurzgeschichten bereits bewiesen, dass mir das Schreiben erotischer Literatur bestens liegt.
„Einer wie ich“ erzählt die Geschichte des jungen Arztes Lennart, der von Lust und Sehnsucht getrieben durch die Berliner Nächte geistert und parallel dazu als Arzt für junge Krebspatienten arbeitet. Letzteres nimmt ihn derart mit, dass er seelisch in eine extreme Schieflage gerät und sich fragen muss, ob er seinem Beruf auf Dauer noch gewachsen ist. Und dann trifft er auf einen anderen Mann, der etwas tief in ihm berührt und ihn damit noch mehr durcheinanderbringt. Auf einmal steht alles Kopf …
Die Besprechungen und Rezensionen waren in der Hauptsache positiv, erst im letzten Jahr schrieb ein Leser auf Amazon: „Wahnsinn! Außergewöhnlich. Rauh. grob, hart und doch auch kunstvoll und berührend. Dieses Buch hat mich total geflasht! Total beeindruckt und wirklich berührt. Der Charakter, und somit auch die Sprache, wirken rau, grob und hart. Doch er nimmt seine Umwelt sehr genau war. Und hinter den oft abschätzigen Beobachtungen steckt eine Sensibilität, die im Verlauf der Geschichte immer öfter durchscheint.“
Als der Roman dann auch noch im Frühjahr 2000 für einen weiteren Preis in der schwulen Literaturszene nominiert wird und eine Lesung daraus ansteht, muss ich natürlich gegenüber den Veranstaltern Farbe bekennen. Die reagieren so gar nicht amüsiert, sondern eher verärgert: „Eine Frau hat diesen geilen Roman geschrieben? Frechheit! Das ist aber dreist!“
Zu der Lesung kam es natürlich nicht, und die Nominierung wurde umgehend gecancelt; eigentlich ärgerlich, denn prämiert werden sollte ja nicht ein schwuler Autor, sondern das Buch selbst.
Natürlich kann man als schwuler Leser irritiert sein, wenn man feststellt, dass ausgerechnet eine Frau die eigenen sexuellen Gelüste perfekt beschreiben und literarisch bedienen kann, aber ich finde es nach wie vor eine gelungene Übung – die überdies gezeigt hat, dass es mit einem männlichen Namen offenbar schneller gelingen kann, die Heiligen Hallen der Literaturpreise zu erobern. In jedem Fall aber haben mir der Roman und sein Erfolg bewiesen, dass es mir durchaus möglich ist, über (fast) alles zu schreiben – denn genau das ist ja mein Beruf: mich in andere Figuren hineinzuversetzen, mit denen ich selbst eventuell herzlich wenig gemein habe. Was das angeht, gibt es meiner Überzeugung nach für Schriftsteller*innen keine Grenzen, und damit ist dann auch für mich die in letzter Zeit immer wieder heißdiskutierte Frage beantwortet, ob nicht eigentlich nur Angehörige von Minderheiten über Probleme von Minderheiten schreiben können oder dürfen und alles andere eine Form kultureller Aneignung sei und damit im Grunde ungehörig: Nein. Schriftsteller*innen können und dürfen über alles schreiben, vorausgesetzt, sie machen es gut.
Boris Belasko: Einer wie ich. Roman. Querverlag, Berlin 1999. Nur noch antiquarisch erhältlich.