Die Monatsbotin Juni 2018 // Notizen aus dem vierten Stock

Hier kommt die sechsundfünfzigste Ausgabe der Monatsbotin von Karen-Susan Fessel – mit Notizen, Gedanken und Terminen vom Schreibtisch aus dem vierten Stock in Berlin-Kreuzberg!

Wem sie gefällt: liebend gern weiterempfehlen! Eine kurze Mail mit dem Hinweis „Monatsbotin gewünscht“ an kontakt@karen-susan-fessel.de – und schon liegt sie Monat für Monat im virtuellen Briefkasten …

Viel Spaß beim Lesen wünscht Karen-Susan Fessel!

Was war?

Ein heißer Wonnemonat Mai, der mit einem Paukenschlag begann – dem von mir lange geplanten Familientreffen nahezu sämtlicher Nachkommen meiner Großeltern mütterlicherseits. Knapp 60 Personen zwischen 4 und 83 und ein Hund – nämlich unserer! –  fanden sich vom 10. bis 13. Mai in der Jugendherberge Meppen zusammen, die durch weitläufige Räumlichkeiten und Freizeitanlagen und eine wunderbare Architektur besticht. Erstaunlich harmonisch und lustig ging es zu, aber es wurde auch zeitweilig sehr emotional – nicht zuletzt auch,  als ich vor diesem illustren Kreis aus meiner neu erschienenen Familiengeschichte „Mutter zieht aus“ vorlas, in der ich meine Mutter porträtiere, aber auch die langsam aussterbende Kriegskindergeneration. Selbst der 8-Jährige Bosse hörte gebannt zu, dessen Oma als Einzige der Kriegskindergeneration nicht mehr dabei sein konnte. 

Das Treffen bot reichlich Stoff für einen ganz eigenen neuen Roman, aber der muss warten, denn mein aktuell in Arbeit befindlicher Roman hat natürlich Vorrang. Noch befindet er sich im Anfangsstadium, denn für Bücher, vor allem „dicke“ Romane gilt natürlich der altbekannte Spruch: „Gut Ding will Weile haben!“

Das spüren auch die Teilnehmer der laufenden Onlineworkshops „Mein Buch“ und „Biografisches Schreiben“, denn die Arbeit daran nimmt viel Zeit in Anspruch – auch für mich natürlich. Aber es macht mir immer ungemein viel Spaß, die TeilnehmerInnen bei ihren kreativen und manchmal auch schmerzlichen Prozessen zu begleiten und zu beraten. Und zuweilen gemeinsam mit ihnen an Grenzen zu stoßen, die dann doch überwunden werden …

Aber auch Lesungen standen auf dem Programm: am 17. Mai in Berlin, wo ich in der historischen Adlermühle, dem Vereinsheim des Berliner Schwimmvereins BSV Friesen e.V., aus „Mutter zieht aus“ las, dann am 29. Mai in Osnabrück in der Lagerhalle – und zwar im Rahmen von „Gay in May“. Zuletzt war ich vor sieben Jahren dort zu Gast und bekam seinerzeit den Rosa-Courage-Preis verliehen, für den Einsatz für die Akzeptanz queerer Lebenswelten. Darüber freue ich mich heute noch!

Am 30. Mai hatte ich dann die Ehre, den 24. Saarner Bücherfrühling in Mülheim an der Ruhr mit einer Lesung in der legendären Buchhandlung Hilberath & Lange zu beschließen. Dort lauschten gut vierzig Menschen, vorrangig Mitglieder der Kriegskindergeneration und ihre Töchter, Auszügen aus „Der Zahlendieb“ (gem. mit Oliver Sechting) und „Mutter zieht aus“, hinterher gab es noch eine spannende Diskussion zum Thema und für mich dann noch einen liebevoll zusammengestellten „Kulturbeutel“ zum Mitnehmen. InhaberInnengeführte Buchhandlungen sind einfach immer etwas Besonderes. An diese drei sehr speziellen Lesungen im Mai werde ich mich noch lange erinnern! 

Und was kommt?

Viel Arbeit, in vielerlei Hinsicht! Die Onlineworkshops sind für den Juni komplett ausgebucht; der Roman drängt, und weitere Lesungen und Workshops stehen natürlich auch noch an: am 8. Juni gleich zweimal in Tübingen, wo ich das Vergnügen habe, die Auftaktlesung zum 40-jährigen Jubiläum meines ersten Verlages, in dem aber auch mein neuestes Buch „Mutter zieht aus“ erschienen ist, zu präsentieren, und zwar um 17h in der Begegnungsstätte Hirsch. Der konkursbuchverlag Claudia Gehrke feiert mit einem aufwendigen Programm, ab 20h dann so richtig im Kino Löwen mit Moderation der Verlegerin höchstselbst und einer von musikalischen Einlagen begleiteten Lesung der Kleist-Preisträgerin Yoko Tawada, an die ich mich mit einer Kurzlesung dann anschließe.

Zwei Wochen später geht es mal wieder ins Saarland: am 20. Juni in die Bücherhütte in Wadern – ebenfalls eine ausgezeichnete Inhaberinnengeführte Buchhandlung mit exzellentem Programm! – und am nächsten Tag in die FrauenGenderBibliothek Saar in Saarbrücken; beide Male natürlich mit „Mutter zieht aus“. Und am 27. Juni habe ich dann das Vergnügen, an die 20 SchülerInnen zwischen 10 und 15 Jahren beim Lesefestival „Hamburger Vorlesevergnügen“ mit einem Schreibworkshop in Schreiblaune zu versetzen.

Viel Abwechslung also im Frühsommer, genau so, wie ich es mag!

Einen prickelnden Juni wünscht Karen-Susan Fessel!

Öffentliche Termine im Juni: 8. Juni, 17h, Tübingen, Hirschgasse 9, Hirsch Begegnungsstätte für Ältere e.V.: Lesung aus „Mutter zieht aus“ / 20h, Kino Löwen: Lesung aus „Mutter zieht aus“ / 20. Juni, 19h, Bücherhütte Wadern, An der Kirche 3, Wadern: Lesung aus „Mutter zieht aus“ / 21. Juni, 19.30h, FrauenGenderBibliothek Saar, Großherzog-Friedrich-Straße 111, 66121 Saarbrücken: Lesung aus „Mutter zieht aus“

Online Workshops: Die neuen Onlineworkshops „Der Kreativ-Quickie“, „Mein Buch“ und „Biografisches Schreiben“ starten am 4. Juni – Informationen und Anmeldung auch für die weiteren  Workshops sowie Einzelcoaching unter www.karen-susan-fessel.de/seminare

Ausgelesen Joachim Meyerhoff: Die Zweisamkeit der Einzelgänger / Die ersten drei Bände von Meyerhoffs  Lebensgeschichte habe ich mit Genuss verschlungen, aber dieser vierte Band hat mich nicht in den Bann ziehen können. Ein ganzes, dickes, äußerst ausführliches Buch über die Liebesgeschichte zwischen dem einzelgängerischen Jungschauspieler und der genialen, aber gestörten Studentin, die dann zu einem heimlichen Menuett zu dritt ausartet, aufgebauscht mit der zusätzlichen platonischen Beziehung des Helden zu einer prolligen Ruhrpottbäckerin, und am Ende bricht alles zusammen – also irgendwie reicht das einfach nicht.  Und bringt mich dazu, mir selbst die Frage zu stellen, die mir vor zwanzig Jahren ein gelangweilter Gymnasiast nach einer Lesung aus „Ausgerechnet du“ entgegenschleuderte: „Warum soll ich das lesen?“ Weil es ganz gut erzählt ist? Nein, das reicht leider wirklich nicht. Klein gelungener Abschluss der Tetralogie, schade! // Christina Krüsi:  Das Paradies war meine Hölle / Die Schweizerin wuchs unter Missionaren auf – und wurde von einigen von ihnen über Jahre hinweg schwer missbraucht. Viele Berichte über ritualisierte Kindesvergewaltigungen gibt es nicht, dieses rare Exemplar liest sich schnell und schnörkellos, lässt die Leserschaft aber am Ende frustriert zurück – denn Aufdeckung heißt noch lange nicht, dass die Täter auch einer Strafe zugeführt werden. Ein weiterer Tiefpunkt in der langen Geschichte der Missbrauchsskandale im Namen der Kirche(n). // Paul Kalanithi / Bevor ich jetzt gehe / Diese ungemein gut geschriebene biografische Erzählung hat mich sehr berührt – der im Alter von 36 Jahren an Lungenkrebs gestorbene Neurochirurg und angehende Neurowissenschaftler Paul Kalanithi erzählt in seinem Vermächtnis in klarer, schöner Sprache von seiner Beschäftigung mit der großen Frage nach dem Sinn des Lebens, die ihn bereits lange vor seiner Erkrankung in umtrieb und bis zuletzt in Atem hielt. Dieser Mann wäre, hätte er nur die Zeit dazu gehabt, ein wunderbarer Schriftsteller geworden. Aber manchmal muss ein einziges Werk als Lebenswerk reichen, und das ist ihm hervorragend gelungen. 

Angeguckt Kerstin Polte (Regie): wer hat eigentlich die Liebe erfunden? / Eigentlich bespreche ich ja keine Filme in dieser Rubrik, aber das kann sich ja ändern – und diesen hier muss ich einfach erwähnen: Das Erstlingswerk der Berliner Regisseurin hat es einfach in sich. Melancholisch-humorvoll erzählt und wunderbar besetzt, erzählt „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?“ von den Widrigkeiten und Banalitäten des heutigen Großstadtlebens und driftet dann nach und nach ab in eine moderne filmische Utopie, gewürzt mit Humor, Fantasie und Traurigkeit. Corinna Harfouch glänzt als an Demenz erkrankte Ehefrau und (Groß-)mutter, Karl Kranzowski als ihr lakonisch-liebevoller Gatte, Meret Becker (die mir sonst oft auf die Nerven geht, hier aber wirklich paradiert) als schräge, ihrerseits dauergenervte Tochter, die sich am Ende auch noch in eine LKW-Fahrerin (Sabine Timoteo) verlieben darf. Ein Gute-Laune-Film, der die deutsche Behäbigkeit einfach links liegen lässt und dem man deswegen auch verzeiht, dass er gelegentlich auch ins Alberne und allzu Bemühte abdriftet. Der perfekte Film zum Einstieg in einen heißen, flirrenden Sommer!