Hier kommt die hundertzweite Ausgabe der Monatsbotin von Karen-Susan Fessel – mit Notizen, Gedanken und Terminen vom Schreibtisch aus dem vierten Stock in Berlin-Kreuzberg!
Wem sie gefällt: liebend gern weiterempfehlen! Eine kurze Mail mit dem Hinweis „Monatsbotin gewünscht“ an kontakt@karen-susan-fessel.de – und schon liegt sie Monat für Monat im virtuellen Briefkasten … Wer lieber Ruhe wünscht, desgleichen!
Viel Spaß beim Lesen wünscht Karen-Susan Fessel!
Was war?
Der September gestaltete sich wechselhaft, in jeder Hinsicht. Plötzlich war der Sommer vorbei und machte dem erstaunlich kühlen Herbst Platz. Im Arbeitszimmer des vierten Stocks, auf der Nordseite gelegen, sank die Temperatur dann auch in den letzten Tagen auf schon etwas unangenehme 18 Grad, aber die Wegmarke 1. Oktober, ab der wir uns frühestens zu heizen vorgenommen hatten, wurde dann nur um einen Tag verfehlt. Mal sehen, was der Winter in dieser Hinsicht noch so bringt …
Der September brachte jedenfalls weiterhin eifrige Arbeit am nächsten Jugendbuch, das im nächsten Herbst erscheinen soll. Das Thema, das ich hier noch nicht verraten möchte, erfordert immer wieder neue Recherchen, so das der Text selbst noch nicht im geplanten Tempo entsteht, aber das sind durchaus vorhergesehene Erschwernisse, die meinen Zeitplan keinesfalls durcheinanderbringen. Bis Ende April plane ich fertig zu sein. I, ich werde berichten, ob das auch genau so geklappt hat.
Weitaus weniger komplikationslos als geplant verliefen dahingehend die Septemberveranstaltungen, die auf meiner Agenda standen. Von 18 Lesungen fand nur eine einzige statt, aber die war dann auch besonders gelungen: In der „Fruchtbar“ im schleswig-holsteinischen Heide las ich am 9. September auf Einladung von „Westküste denkt queer“ aus meinem Roman „In die Welt“, das sich anschließende, sehr anregende Gespräch mit dem kleinen, aber feinen Publikum dauerte dann fast länger als die Lesung selbst, eine schöne Sache!
Das Publikumsgespräch bei der nächsten Veranstaltung am 15. September im Rahmen des Dyke-Dog-Literatursalons im Literarischen Colloquiums Berlin musste dann aufgrund des winzigen Zeitfensters leider komplett ausfallen, schade, denn zum Thema „Sichtbarkeit lesbischer Literatur“ gäbe es wirklich viel zu sagen. So aber hatten wir drei Podiumsgäste – Hengameh Yaghoobifarah, Kaśka Bryla und ich – trotz der fein akzentuierten Moderation Magda Albrechts nur wenig Zeit, unsere Positionen auszubreiten und zu diskutieren. Interessant fände ich ja eine weitere Diskussion zum Thema „Wer oder was ist eigentlich queer?“, so aber fuhr ich mit vielen weiteren Fragen im Kopf nach Hause und dem vagen Eindruck, dass für viele junge Menschen das Wort „lesbisch“ allmählich in eine graue, weit zurückliegende Vorzeit gehört – auf jeden Fall nicht auf einen Buchrücken, wo es wohl unweigerlich die literarische Bedeutsamkeit des Werkes zu schmälern scheint … Neu ist das nicht für mich, aber fragwürdig weiterhin.
Das war es auch schon mit den Live-Veranstaltungen meinerseits im Monat September, denn die nächste Lesung am 20. vor dem Planetarium in Prenzlauer Berg zum Internationalen Kindertag aus „Selina Stummfisch“ und anderen Büchern fiel buchstäblich ins Wasser und wird voraussichtlich am 26. Oktober in der Berliner Tucholsky-Bibliothek nachgeholt.
Am folgenden Tag erwischte mich dann eine üble Magen-Darm-Infektion, der die für den 23. September im Theater Morgenstern in Berlin-Steglitz geplante Lesung aus „Und wenn schon!“ zum Opfer fiel. Und auch die Lesereise in der Woche darauf zur 15. Jugendbuchwoche in Celle vom 26. bis zum 30. September musste ich krankheitsbedingt absagen – zu schade, aber vielleicht gibt es ja in zwei Jahren bei der nächsten Auflage eine neue Chance.
Sehr erfreulich aber in diesem Monat: Mein aktuelles Jugendbuch „Blindfisch“ (Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg 2022) wurde im September vom Deutschlandfunk auf die Liste der 7 Besten gewählt, eine feine Auszeichnung, über die ich mich sehr freue!
Und was kommt?
Weiterhin die Schreib- und Recherchearbeit an meinem neuen Roman, nicht zu vergessen aber auch die vierteljährliche Umsatzsteuervoranmeldung, die ich brav bis zum 15. Oktober hinter mich und dem Finanzamt zur Vorlage bringen muss.
Wenn alles klappt, freue ich mich ab dem 5. Oktober über einen neuen achtwöchigen Online-Workshop, den ich im Auftrag des Vereins JES NRW e.V., der Interessenvertretung für Drogen gebrauchende Menschen, Ehemalige und Substituierte, jeden Mittwoch anbieten darf.
Und auf meine Lesung am 23. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse freue ich mich auch, wo ich natürlich „Blindfisch“ präsentieren werde. Alle Termine sind auch auf meiner Website und hier einzusehen!
Einen nicht allzu stürmischen Oktober wünscht Karen-Susan Fessel!
Online-Workshops: Der nächste Kreativ-Quickie startet am 4. Oktober; Informationen und Anmeldung auch für die neuen Onlineworkshops „Mein Buch“ und „Biografisches Schreiben“ und das Einzelcoaching unter www.karen-susan-fessel.de/seminare
Ausgelesen: Torbjörn Ekleund: Gehen. Eine Wiederentdeckung. Malik, München 2021 / Ekelund ist Norweger und als solcher dem Wandern viel näher als der gemeine Mitteleuropäer, aber darum geht es in diesem feinen, gut erzählten Essay nicht – sondern um, grob gesagt, das Gehen auf Wegen. Und die Wiederentdeckung des sich nur langsam Fortbewegens, das den Geist in eine ganz neue Offenheit versetzen kann. Auch wenn ich selbst kaum je wandere, dafür aber spazierengehe und radfahre, so hat mir Ekelunds umfassende Betrachtung des Gehens doch viele neue Gedankengänge über das Tempo, in dem wir Menschen heutzutage in jeder Hinsicht unterwegs sind, eröffnet. Ein sehr zu empfehlendes Buch, bei weitem nicht nur für Wanderfreunde, sondern erst recht für Bewegungsmuffel.
Und hier nun wie angekündigt meine neue Rubrik, in der ich alle meine 44 Bücher in chronologischer Reihenfolge vorstellen werde:
Unter der Lupe: Meine Werke
Nr. 1: Und abends mit Beleuchtung (1994)
Nein, was war ich aufgeregt, als ich im März 1993 den Vertrag für mein erstes Buch in den Händen hielt! Der erste Schritt hin zu meinem Traumberuf Schriftstellerin war tatsächlich gemacht, der konkursbuchverlag in Tübingen würde mein Erstlingswerk pünktlich zur Frankfurter Buchmesse 1994 veröffentlichen. Damit würde ich mein großes Ziel erreichen: mein erstes Buch zu veröffentlichen, bevor ich 30 Jahre alt sein würde.
Wie gut, dass ich ein Jahr zuvor so naiv gewesen war und mein Manuskript nach Fertigstellung einfach an zehn Verlage geschickt hatte, die ich mir in der Amerika-Gedenkbibliothek und mehreren Buchläden als ungefähr passend herausgesucht hatte. Die Zeit davor war eine wirklich glückliche gewesen: Nach Abschluss meines Studiums der Theaterwissenschaften, Germanistin und Romanistik in Berlin hatte ich den Sprung ins kalte Wasser gewagt und mich an meinen ersten Roman gesetzt, der nun unter dem Titel „Und abends mit Beleuchtung“ erscheinen würde. Über eineinhalb Jahre hatte ich immer, wenn ich Zeit fand, in meinem Arbeitszimmer mit Blick auf den Berliner Kreuzberg an der Geschichte um die Zwillinge Nan und Leo und einer Handvoll ihrer Freunde gearbeitet, die wilde Abenteuer erleben und herauszufinden versuchen, wohin ihr Leben sie führen soll – oder sie ihr Leben … Heute noch kann ich das überwältigende Gefühl von Freude und Freiheit empfinden, das mich an meinem Schreibtisch in der Wohnung, in der ich heute noch lebe, überkam, das tiefe, klare Bewusstsein darüber, dass ich jetzt und hier genau das machte, was ich schon immer wollte, dass ich meine Bestimmung und meine Berufung gefunden hatte. In meiner Erinnerung hat in dieser langen Zeit an jedem einzelnen Tag die Sonne auf meinem Schreibtisch geschienen, die gesamte Schreibzeit scheint wie in warmes, klares Licht getaucht, in dem ich auf eine bestimmte Art auch heute noch bade.
Wenn ich nicht schrieb, frönte ich dem Nachtleben, arbeitete ich bei der Post und sortierte, vorrangig in Nachtschichten, Briefe und Pakete und war als Fahrradkurier im Auftrag von American Express unterwegs, um Flugtickets an Firmenkunden auszuliefern – tja, damals steckte das Phänomen Internet noch in den Kinderschuhen …
Von den zehn angeschriebenen Verlagen antworteten gleich zwei positiv, beide empfahlen mir jedoch dringend, das damals noch 450 Seiten umfassende Manuskript deutlich zu kürzen. Eine harte Schule für mich, aber eine wirklich hilfreiche. Dass der alte Spruch „In der Kürze liegt die Würze“ tatsächlich gerade beim Schreiben oft seine Wahrheit entfaltet, habe ich damals gelernt – das betrifft übrigens auch den Titel, den sich kaum jemand merken kann. An die 160 Seiten, also knapp ein Drittel des Textes, habe ich gestrichen, die Geschichte gestrafft, ganze Nebenstränge herausgenommen. Dem Roman tat das gut, und die (wenigen) späteren Besprechungen waren auch durchweg positiv.
Das Cover gestaltete eine meiner besten Freundinnen, die 2020 überraschend und viel zu früh verstorbene Illustratorin Heidi Kull; das Original, auf Pappe gezogen, ziert bis heute mein Büro im vierten Stock.
Die Frankfurter Buchmesse 1994 war dann zwar eher ein Schockerlebnis für mich (so viele Bücher, so viele Autoren! Wer sollte sich denn da für mein Buch interessieren?), aber dennoch spannend. Außerdem lernte ich dort meine gleichaltrige Schriftstellerkollegin Regina Nössler kennen, die ebenfalls ihr erstes Buch beim konkursbuch Verlag veröffentlicht hatte und mit der mich bis heute eine gute und enge Freundschaft verbindet. Und meine allererste Lesung aus einem eigenen Buch hielt ich dort auch, ein unvergesslich nervöses Erlebnis.
So ist „Und abends mit Beleuchtung“, das erste von bisher 44 veröffentlichten eigenständigen Werken, also mein Einstieg in den Beruf der Schriftstellerin geworden. Bis ich davon leben konnte, verging allerdings noch geraume Zeit, aber davon in den nächsten Ausgaben mehr!
Karen-Susan Fessel: Und abends mit Beleuchtung. konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, Tübingen 1994, 288 Seiten, 12 €