Hier kommt die siebte Ausgabe der Dreimonatsbotin von Karen-Susan Fessel – mit Notizen, Gedanken und Terminen vom Schreibtisch aus dem vierten Stock in Berlin-Kreuzberg!
Wem sie gefällt: liebend gern weiterempfehlen! Eine kurze Mail mit dem Hinweis „Monatsbotin gewünscht“ an kontakt@karen-susan-fessel.de – und schon liegt sie je Mitte März/Juni/September/Dezember im virtuellen Briefkasten … Wer lieber Ruhe wünscht, desgleichen!
Viel Spaß beim Lesen wünscht Karen-Susan Fessel!
Das letzte Wochenende hat nochmal Sommertemperaturen mit sich gebracht, aber jetzt ist der Herbst da – den ich sehr gern mag. Ich freue mich schon auf die kühlen und auch die kalten Tage, den frischen Regen, die dahinziehenden Wolken in allen Grau- und Weißtönen, das bunte, im Wind wehende Laub. Der nahe Gleisdreieckpark, den ich zwei- bis dreimal am Tag mit den Hunden aufsuche, ist jetzt schon merklich leerer geworden, und die grölenden Touristengruppen sind wieder verschwunden. So lässt es sich auch ganz wunderbar am Schreibtisch arbeiten, und nicht nur da gibt es einiges zu tun …
Neben den weiterlaufenden Online-Workshops „Leg los – schreib endlich dein Buch“ 2024 und 2025 und den Kreativ-Quickies war ich in den vergangenen drei Monaten zunächst vollauf mit den Vorbereitungen zur Sommerakademie in der Akademie Waldschlösschen beschäftigt, deren Leitung ich gemeinsam mit Ulli Klaum übernommen habe. Die Sommerakademie selbst war ein voller Erfolg und überdies ungemein lustig; neben meinen Schreibworkshops, den Ansagen, Besprechungen und Verwaltungsaufgaben durfte ich auch den erstmalig stattfindenden Bingo-Abend moderieren – für mich, die ich so eine Veranstaltung zuvor weder gesehen noch besucht hatte, ein großes Vergnügen, das zu einem ganz neuen Berufswunsch führte: Wie gerne würde ich doch meine letzten Berufsjahre als Bingo-Moderatorin verbringen! Zumindest nebenberuflich! Aber ob mir das vergönnt sein wird, bezweifle ich leider stark.
Nach der Sommerakademie leitete ich dann am 22. und 23. August im Seminarhaus Rommerz nahe Fulda auf Einladung des Selbsthilfe-Netzwerkes Pro Plus Hessen einen Schreibworkshop im Rahmen des 11. Hessischen Positiventreffens, bei dem zehn hochmotivierte Teilnehmende kurze Texte zu verschiedenen Themen verfassten und vortrugen.
Und Bingo-Königin hin oder her – meine jetzigen Tätigkeiten bereiten mir ja zum Glück sehr viel Freude, auch wenn es den einen oder anderen Dämpfer gibt: denn mein neues geplanten Bilderbuch für den Psychiatrie-Verlag habe ich nun doch nach langem Hin und Her zurückgezogen und den Vertrag aufheben lassen. Zu groß waren dann doch die Differenzen hinsichtlich dessen, was sich heute in einem therapeutischen Fachverlag über die Lebensrealitäten von betroffenen Kindern erzählen lassen kann. In Zeiten, in denen ein „falscher“ Ausdruck einen vernichtenden Shitstorm verursachen kann, ist es für viele Verlage eben nicht mehr möglich, schwierige Problematiken in Geschichten zu erzählen und dabei auch den Finger auf wunde Punkte zu legen. Das kann ich durchaus nachvollziehen, aber nicht mitmachen. Meine Arbeit besteht ja gerade auch darin, dorthin zu sehen, wo es wehtut, und die Dinge auch beim Namen zu nennen. Vielleicht findet „Pepe“ ja woanders eine verlegerische Heimat, mal sehen …
Und bin seither damit beschäftigt, meinen nächsten Erwachsenenroman vorzubereiten, dessen Thema ich mal wieder nicht verraten möchte, bevor ich nicht mindestens die Hälfte geschrieben habe. Das wird also noch dauern – denn noch muss ich mich entscheiden, welche der beiden Ideen, an denen ich seit längerem feile, das Rennen macht. Ein Jugendbuch steht auch noch zur Disposition; also: an Themen und Ideen mangelt es mir nicht. Und das ist ein großes Glück, finde ich. Denn angesichts der katastrophalen Weltlage kann ich mich dann zumindest in den Zeiten des Schreibens daraus hinwegbewegen und in ganz andere Welten eintauchen. Und das ist fast das Allerbeste an meinem Beruf!
Einen milden Herbst wünscht Karen-Susan Fessel
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Online-Workshops: Die nächsten „Kreativ-Quickies“ starten am 2. Oktober und 3. November. Informationen und Anmeldung auch für die weiteren Onlineworkshops „Mein Buch“ und „Biografisches Schreiben“, die neuen Jahreskurse 2026 und das Einzelcoaching unter www.karen-susan-fessel.de/seminare
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Ausgelesen: Ayelet Gundar-Goshen: Ungebetene Gäste. Kein & Aber, Zürich 2025 / Für mich eine wahre Neuentdeckung: von der 43-jährigen israelischen Autorin sind auf deutsch bereits fünf Bücher erschienen, was mir bis dato völlig entgangen war. Aber wenn die anderen vier auch nur halb so gut wie Ungebetene Gäste sind, dann hat Gundar-Goshen gute Chancen, zu meinen Lieblingsautorinnen zu zählen. Der Anfang scheint ganz banal – Naomi hat einen freundlichen arabischen Handwerker in der Wohnung, der auf dem Balkon Ausbesserungsarbeiten vornehmen soll. Uri, ihr 14-monatiger Sohn, ist höchst begeistert von dem lustigen Mann, der ihn zum Lachen bringt, zu Naomis Freude, die von den Erziehungs- und Stillaufgaben längst überfordert ist. Als der Arbeiter kurz die Toilette benutzt, bekommt Naomi nicht mit, dass Uri den Balkon betreten und einen auf der Balustrade liegenden Hammer herunterstoßen hat. Aber dann bricht unten auf der Straße die Hölle los: ein Jugendlicher ist vom Hammer erschlagen worden. Die Nachbarn wittern ein Attentat, und Naomi wird viel zu spät klar, dass sie hätte einschreiten und die Wahrheit sagen müssen … Ein grandioser Roman über Schuld und Verantwortung, des Einzelnen wie auch der Gesamtgesellschaft, bestens auf unsere europäischen Verhältnisse übertragbar. Ich freue mich schon auf die weiteren Werke der Autorin!
Unter der Lupe: Meine Werke
Nr. 13: Ausgerechnet du (2003)
Nachdem mein drittes Kinder- und Jugendbuch „Und wenn schon“ 2002 für mich den Durchbruch in der Kinder- und Jugendliteratur bedeutet hat, erscheint im Herbst des Folgejahres bereits das nächste Buch im Oetinger Verlag, diesmal für die Altersgruppe ab 14: „Ausgerechnet du“ erzählt die Geschichte von drei Jugendlichen, die sich auf ihrem Dorf und in der nahegelegenen Kleinstadt ziemlich langweilen und es kaum erwarten können, neue Wege einzuschlagen. Neben den drei sehr unterschiedlichen Hauptfiguren, die mehr oder minder wohlbehütet in guten Verhältnissen aufwachsen, tauchen auch Manfred Hannemann und seine Brüder aus „Und wenn schon!“ wieder auf, allerdings diesmal als Nebenfiguren. Im Kern erzählt der Roman von den Abgründen, die auch in scheinbar intakten, mittelständischen Familien lauern können, und dem höchst unterschiedlichen Umgang damit.

Auch „Ausgerechnet du“ spielt in Meppen, der emsländischen Kleinstadt, in der ich selbst im Alter von 8 bis 18 aufgewachsen bin, und in einer Welt, die mir als Jugendliche aus meinem vor allem schulischen Umkreis wohlbekannt war – gutsituierte Familien, die in großen Einfamilienhäusern mit gepflegten Vorgärten lebten, in denen aber oft wenig miteinander gesprochen wurde. Die mangelnde Kommunikation führt in „Ausgerechnet du“ am Ende zu einer Fast-Katastrophe, aber auch zu einem Befreiungsschlag.
Unvergesslich bleibt mir eine Lesung aus dem Buch in einem Kulmbacher Gymnasium, bei der ein gelangweilter 17-Jähriger mich fragte: „Warum soll ich so was denn lesen? Das kenn ich doch schon von zu Hause.“ (!) „Weil es spannend ist und weil es dir vielleicht einen anderen Blickwinkel aufzeigt“, antwortete ich. Überzeugt habe ich ihn nicht, aber dafür sicherlich andere, der (ehrlicherweise nicht sehr zahlreichen) Post nach zu urteilen, die ich zum Buch erhielt.

Und in einer weiteren Hinsicht war „Ausgerechnet du“ bahnbrechend für mich: Jahrelang wurde ich von Schüler*innen gefragt, warum 1. das Buch so heiße und 2. eine Kuh auf dem Cover abgebildet sei. Meine Antwort war, dass der Verlag das so entschieden und ich dabei kein Mitspracherecht gehabt habe. Daraus entwickelte ich dann einen eigenen Part auf meinen Lesungen, in dem ich auf die Herstellung von Büchern und die Rechte von Autor*innen eingehe, was die Jugendlichen immer ungemein spannend finden. Und ich im Übrigen auch!
Ausgerechnet du. Roman. Erstausgabe Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg 2003, Schulbuch-/Taschenbuchausgabe Schroedel 2006. Nur noch antiquarisch erhältlich.

